Please, ask yourself whether these great sorrows have not, rather, gone right through the middle of you? If much within you has not changed, if you haven't somewhere, in some place, changed your being, while you were sorrowful?...If it were possible for us to see farther than our knowledge reaches, and even a bit farther than the works of our forebears, perhaps we would then bear our sorrows with more confidence than our joys. For they are the moments when something New comes into us, something unknown; our feelings fall silent in shy confusion, everything in in us steps back, a silence ensues, and the New Thing, which no one knows, stands in the middle of this without speaking.
I believe that almost all our sorrows are moments of tension that we perceive as numbness, because we no longer hear our estranged feelings living. Because we are alone with the strangeness that has entered us; because all that we trusted and were used to has been taken away from us for a moment; because we are in the middle of a transformation where we cannot be stable. That is why the sorrows also pass: the New Thing in us, that has come into us, has gone into our heart, into its innermost chamber, and is already no longer there-- it is already in our blood. And we don't learn what it was....We can't say who is come, we may never know, but many indications show that the Future has entered us in this way, to transform inside of us, long before it happens. And that's why it is so important to be alone and alert when you are sad: because the seemingly uneventful and numb moment in which our Future enters us stands so much closer to Life than that other noisy and random point in which, from the outside, it happens....
Here, dear Mr Kappus, you must not be afraid when a sadness looms before you, a bigger sadness than you have seen; when an anxiety, like light and the shadows of clouds, goes over your hands and everything you do. You must reflect that something is happening to you, that Life has not forgotten you, that it is holding you in its hand; it will not let you fall. Why do you want to shut out gloom from your life, when you don't know yet how these conditions are doing to you? Why do you want to worry yourself asking where it all comes from and what will happen? Since you know that they are passing over you, and want nothing so much as to change into something else....
In you, dear Mr Kappus, so much is now happening; you must be patient like a sick person and confident like a recovering one; since perhaps you are both. And more: you are also the doctor charged with watching over yourself. But in this illness there are many days where the doctor can do nothing but wait. And that is what you, as you are your own doctor, must do above all.
--Rainer Maria Rilke (1875-1926), Letters to Franz Kappus, no. 8
Bitte, überlegen Sie, ob diese großen Traurigkeiten nicht vielmehr mitten durch Sie durchgegangen sind? Ob nicht vieles in Ihnen sich verwandelt hat, ob Sie nicht irgendwo, an irgendeiner Stelle Ihres Wesens sich verändert haben, während Sie traurig waren?...Wäre es uns möglich, weiter zu sehen, als unser Wissen reicht, und noch ein wenig über die Vorwerke unseres Ahnens hinaus, vielleicht würden wir dann unsere Traurigkeiten mit größerem Vertrauen ertragen als unsere Freuden. Denn sie sind die Augenblicke, da etwas Neues in uns eingetreten ist, etwas Unbekanntes; unsere Gefühle verstummen in scheuer Befangenheit, alles in uns tritt zurück, es entsteht eine Stille, und das Neue, das niemand kennt, steht mitten darin und schweigt.
Ich glaube, daß fast alle unsere Traurigkeiten Momente der Spannung sind, die wir als Lähmung empfinden, weil wir unsere befremdeten Gefühle nicht mehr leben hören. Weil wir mit dem Fremden, das bei uns eingetreten ist, allein sind, weil uns alles Vertraute und Gewohnte für einen Augenblick fortgenommen ist; weil wir mitten in einem Übergang stehen, wo wir nicht stehen bleiben können. Darum geht die Traurigkeit auch vorüber: das Neue in uns, das Hinzugekommene, ist in unser Herz eingetreten, ist in seine innerste Kammer gegangen und ist auch dort nicht mehr, - ist schon im Blut. Und wir erfahren nicht, was es war....Wir können nicht sagen, wer gekommen ist, wir werden es vielleicht nie wissen, aber es sprechen viele Anzeichen dafür, daß die Zukunft in solcher Weise in uns eintritt, um sich in uns zu verwandeln, lange bevor sie geschieht. Und darum ist es so wichtig, einsam und aufmerksam zu sein, wenn man traurig ist: weil der scheinbar ereignislose und starre Augenblick, da unsere Zukunft uns betritt, dem Leben so viel näher steht als jener andere laute und zufällige Zeitpunkt, da sie uns, wie von außen her, geschieht....
Da dürfen Sie, lieber Herr Kappus, nicht erschrecken, wenn eine Traurigkeit vor Ihnen sich aufhebt, so groß, wie Sie noch keine gesehen haben; wenn eine Unruhe, wie Licht und Wolkenschatten, über Ihre Hände geht und über all Ihr Tun. Sie müssen denken, daß etwas an Ihnen geschieht, daß das Leben Sie nicht vergessen hat, daß es Sie in der Hand hält; es wird Sie nicht fallen lassen. Warum wollen Sie irgendeine Schwermut von Ihrem Leben ausschließen, da Sie doch nicht wissen, was diese Zustände an Ihnen arbeiten? Warum wollen Sie sich mit der Frage verfolgen, woher das alles kommen mag und wohin es will? Da Sie doch wissen daß sie in den Übergängen sind, und nichts so sehr wünschten, als sich zu verwandeln....
In Ihnen, lieber Herr Kappus, geschieht jetzt so viel; Sie müssen geduldig sein wie ein Kranker und zuversichtlich wie ein Genesender; denn vielleicht sind Sie beides. Und mehr: Sie sind auch der Arzt, der sich zu überwachen hat. Aber da gibt es in jeder Krankheit viele Tage da der Arzt nichts tun kann als abwarten. Und das ist es, was Sie, soweit Sie Ihr Arzt sind, jetzt vor allem tun müssen.